…Spoiler: Rein positiv geht nicht. Warum nicht? Positive Verstärkung und negative
Bestrafung sind zwei Seiten derselben Medaille. Aber keine Sorge, ich erkläre das. Und ich
verspreche, es wird nicht zu theoretisch.
Positive Verstärkung und negative Bestrafung: Ein untrennbares Duo
In der klassischen Konditionierung geht es darum, Verhalten entweder zu verstärken oder zu
reduzieren. Zum Beispiel: Dein Hund setzt sich brav hin, und du gibst ihm ein Leckerli (positive
Verstärkung). Klingt super, oder? Aber was passiert, wenn er sich nicht hinsetzt? Genau – es gibt kein Leckerli. Das nennt man negative Bestrafung. Und das ist immer Teil des Pakets.
Andersherum funktioniert es genauso: Stell dir vor, dein Hund zieht an der Leine und du korrigierst
ihn durch ein Signal (positive Bestrafung). Sobald er aufhört zu ziehen, lässt du das Signal weg
(negative Verstärkung). So oder so, man kann sich das eine nicht ohne das andere denken.
Die Idee von "rein positiv" ist also mehr ein schöner Traum als Wirklichkeit – genauso wie der
Gedanke, dass man ohne Schokolade durch einen schlechten Tag kommt. Theoretisch möglich, aber
… naja.
Hunde lernen anders – Kommunikation unter Caniden
Wild- oder besser freilebende Hunde, und übrigens auch ihre wilden Verwandten wie Wölfe,
brauchen keine "Feini feini"-Leckerchen, um sozialverträglich zu sein. In der Natur gibt es keine
Verstärkerlisten oder Belohnungstabellen. Sozial verträgliches Verhalten wird schlichtweg als
normal angesehen und weder mit einem Jubelkonzert noch mit einem Keks belohnt. (Und ja, sind
alle und auch wir Menschen konditioniert – denn, wie Paul Watzlawick so treffend sagte: "Man
kann nicht nicht kommunizieren." Ebenso wenig kann man nicht nicht konditionieren.)
Das Verhalten, das die Gruppe stört, wird hingegen sehr klar und deutlich korrigiert. Und das Beste
daran? Hunde machen das ohne Drama! Kein Schmollen, kein beleidigtes Wegsehen und kein “wirst-schon-sehen-was-du-davon-hast”.
Sie korrigieren mit angemessener Energie, und sobald die Sache geklärt ist, geht
das Leben weiter. Genial, oder?
Warum Hundeschulen so auf klassische Konditionierung setzen
Viele Hundeschulen setzen fast ausschließlich auf klassische Konditionierung. Warum? Weil es
funktioniert – zumindest, wenn es darum geht, Kommandos oder spezifische Abläufe zu trainieren.
Der Hund lernt: Setz dich = Leckerli. Bleib liegen = Lob. Für den Hundesport oder die Ausbildung
ist das prima.
Aber was fehlt? Die Orientierung am Menschen. Ein Hund, der nur konditioniert wurde, reagiert oft
wie ein Automat: Signal rein, Verhalten raus. Aber was passiert, wenn kein Signal kommt? Oder
wenn ein starker Außenreiz wie ein anderer Hund, ein Kaninchen oder eine plötzliche Ablenkung
stärker ist als das erlernte Signal? Genau hier fangen die Probleme an. Konditioniertes Verhalten ist
oft nicht zuverlässig, wenn es nicht regelmäßig wiederholt und gefestigt wird. Viele Hundehalter
müssen die Belohnungen immer weiter steigern – das bessere Leckerli, das spannendere Spielzeug
– um das Verhalten aufrechtzuerhalten. Diese Abhängigkeit von äußeren Reizen zeigt, dass reine
Konditionierung allein nicht genügt, um einen Hund wirklich sicher und souverän durch den Alltag
zu führen.
Neurowissenschaftlich betrachtet
Zu viel, zu früh konditionieren kann sogar problematisch sein. Das Gehirn eines jungen Hundes ist
darauf ausgelegt, durch Entdecken, Ausprobieren und Fehler machen zu lernen. Konditionierung
zwingt das Gehirn in starre Muster und reduziert die Möglichkeit, neuronale Netzwerke flexibel zu
entwickeln. Das ist so, als würde man einem Kind nur das Auswendiglernen von Antworten
beibringen, anstatt ihm das eigenständige Denken zu ermöglichen.
Soziales Lernen: Die vergessene Kunst
Hunde lernen unglaublich viel durch Beobachtung. Sie schauen, was andere Hunde oder Menschen
tun, und passen ihr Verhalten an. Natürlich unterstützen wir sie dabei mit einer ausgewogenen
Balance aus klaren Regeln und Grenzen sowie Möglichkeiten zum selbstständigen Lernen,
Probieren, Spielen und Entdecken. Es geht nicht darum, dass der Hund einfach nur zuschaut und
dann magisch alles richtig macht. Unsere liebevolle und klare Führung gibt ihm die Orientierung,
die er braucht, um wirklich sicher und angemessen handeln zu können. Diese Art des Lernens ist
nachhaltig, weil es auf Körpersprache, Energie und sozialer Interaktion basiert. Leider findet
das in vielen Trainingsprogrammen kaum Beachtung.
Erziehung vs. Training
• Training: Dein Hund lernt, "Sitz" oder "Platz" auf Kommando auszuführen. Praktisch,
keine Frage.
• Erziehung: Dein Hund versteht soziale Regeln und hält sie ein, ohne dass du ständig
eingreifen musst. Er bleibt ruhig, weil es zur Situation passt, nicht weil du es ihm gesagt
hast. Er zieht sich zurück, wenn ein anderer Hund klare Signale gibt. Das ist nicht nur
praktisch – das ist soziale Kompetenz.
Der Unterschied? Beim Training geht es um Abläufe. Bei der Erziehung geht es um soziale
Intelligenz. Mein Favourit ist der autoritative Erziehungsstil: klare Regeln, liebevolle Führung und
die Freiheit, eigene Erfahrungen zu machen. Das gibt deinem Hund Sicherheit und Raum zugleich.
Warum Bindung und Erziehung vor Konditionierung kommen sollten
Bindung und Erziehung sind wie das Fundament eines Hauses. Ohne sie kann man das schönste
Training daraufpacken, aber es wird wackelig bleiben. Dein Hund sollte wissen:
• "Mein Mensch trifft Entscheidungen."
• "Ich kann mich auf ihn verlassen."
• "Unsere Regeln geben mir Orientierung."
Hunde sind keine Maschinen. Sie sind intelligent, sensibel und anpassungsfähig. Geben wir ihnen
die Chance, zu zeigen, was wirklich in ihnen steckt, anstatt sie in starre Muster zu pressen.
Fazit: Positive Verstärkung klingt gut, aber sie ist nur ein kleiner Teil eines großen Puzzles. Wahre
Verbindung entsteht durch klare Kommunikation, Vertrauen und die richtige Balance aus Regeln
und Freiheiten. Und wenn du das einmal erlebt hast, wirst du sehen: Ein Hund, der nicht nur
"funktioniert", sondern sich an dir orientiert, macht das gemeinsame Leben zu etwas wirklich
Außergewöhnlichem.